Komplexes einfach lernen

Wichtige Wechselwirkungen im Sich-Verständigen

Wichtige Wechselwirkungen im Sich-Verständigen sind Kräfte, die einfach da sind und miteinander (ver)handeln. Das klingt etwas leidenschaftslos und ist die Konsequenz, wenn Geschichten zu Definitionen verdichtet werden. Ich kann mit Definitionen im Alltag wenig anfangen. Mir ist es wichtig, Deine Leidenschaft für Sich-Verständigen zu wecken. Deswegen braucht es Erzählung. Und diese braucht mehr Zeit…

Lachen, Reden, Singen, Tanzen, Gähnen… Wir sind im ständigen Austausch auf verschiedenen Ebenen und sogar im Schlaf synchronisieren wir uns. Ich weiß z.B. was meine Partnerin so tendenziell essen mag, bevor sie es ausspricht. Ich streng mich dafür gar nicht an. Es ist eine Ahnung, die einfach da ist.

Isaac Newton verdichtete seine Ahnungen und formulierte im Jahr 1687 eine Wechselwirkung, die wir Gravitation nennen. Es brauchte weitere 382 Jahre bis Paul Watzlawick den menschlichen Austausch u.a. damit beschrieb, dass wir Menschen nicht NICHT kommunizieren können. Beide benennen etwas, was schon da ist und da war. Sie erfinden es nicht, sondern beschreiben Interaktionsmuster, die sie erfahren. Diese Beschreibungen werden auch weiter entwickelt.

Eine Methode der Evolution

Wenn wir ständig kommunizieren und uns austauschen, muss es universelle Interaktionsmuster bzw. Wechselwirkungen geben. Vermutlich keine, die sich mit Formeln beschreiben lassen, sonst hätten Physiker und Mathematiker, diese schon definiert. Wechselwirkungen haben Eigenschaften und kooperieren unter bestimmten Bedingungen. Beides lässt sich auch ohne Formeln beschreiben. Und da auch ich mich verständige, bin ich Teil dieser Wechselwirkungsgeschichte.

Von weit weg betrachtet, ist Sich-Verständigen der Prozess des gegenseitigen Lernens von einer Begegnung bis zur nächsten Begegnung. Das dazwischen ist ergebnisoffen. Das „Offene“ ist genau das Besondere. Es ermöglicht allen Beteiligten, sich zu entwickeln und mitzugestalten. Von noch weiter weg betrachtet, ist Sich-Verständigen eine universelle Methode der Evolution, auch meiner eigenen. Dabei beinhaltet diese Methode auch „Nicht-Verständigen“ als Potenzial für Kreativität.


„…Die Evolutionsschritte sind die Heilungsschritte eines Organismus nach Verletzung durch Kreativität, wobei es in der Kreativität kein gut oder böse gibt, sondern eher ein Zuviel…“

– Hans-Peter Dürr

Auch im menschlichen Sich-Verständigen kracht immer wieder. Aus einer scheinbar harmlosen Frage kann ein gewaltiger Streit entstehen. Wenn wir nach solchen Situationen nicht wieder zueinander zu finden, bleibt das Unangenehme und setzt sich auch in anderen Begegnungen fort. Meine und Deine Lernfähigkeit im Sich-Verständigen bestimmt, was sich fortpflanzt und ob das Unangenehme sich zu einem „Zuviel“ anhäuft.  

Wir Menschen können fliegen, Rad fahren, kochen und vieles Alltägliche mehr durch die Anwendung von Wechselwirkungen. Wenn ich z.B. das Kochen bewusst lerne, wird mein Essen vielfältiger und leckerer. Das erfreut mich und mein Umfeld. Nicht anders ist es mit dem Sich-Verständigen-Lernen. Die Grundzutaten nenne ich Liebe, Macht und Freiheit. Wie ich darauf komme, kommt noch.

Zuerst geht es um die Umgebung, in der wir uns begegnen, denn unser Austausch braucht Raum und Zeit. Das Modell der Begegnungs- und Verständigungsräume ist mein Weg, mir das Raum-Zeit-Zusammenspiel besser vorstellen zu können.

Begegnungs- und Verständigungsräume

Stell Dir vor, ich und Du gestalten jeweils einen persönlichen Raum der Begegnung und Verständigung. Unsere Austausch-Räume sind veränderlich: groß, klein, bunt, grau oder nur schwarz-weiß, offen, distanziert, verbal und/oder körperlich und so weiter. Sie verändern sich mit der persönlichen Entwicklung. Mein Begegnungsraum mit 2 Jahren war körperlicher und weniger verbal als heute.  

Unsere Räume spiegeln auch, wie es uns gerade geht. Das hat u.a. mit meinem und Deinem momentanen Erleben zu tun. Fühle ich mich in meiner Kraft und habe gerade Zeit, ist mein Raum präsent und offen. Damit unsere Räume sich begegnen und auch verständigen können, sind sie in  Beziehung. Eigentlich sind es mehrere Beziehungen und diese nenne ich Liebe, Macht und Freiheit.    

Sicherlich gibt es noch vieles mehr, was Deinen oder meinen Raum beeinflusst. Mein Bestreben ist, die Wechselwirkungen verständlich zu machen, indem ich sie verdichte und reduziere. Wir können Räume mit mehr als drei Dimensionen schwer verstehen. Außerdem will ich das Verstandene anwenden und für den Anfang reicht es mir, nur mit drei Bällen jonglieren zu üben.

Stell Dir vor, Liebe, Macht & Freiheit sind so etwas wie unterschiedliche Dimensionen unserer Begegnungsräume. Gemeinsam wachsen, beleben und stärken sie sich gegenseitig zu einer stabilen Raum-Zeit. Raum und Zeit ist das was wir mitbringen und uns nehmen für die Begegnung und den Austausch. Mit stabil meine ich, dass auch nach einem „Nicht-Verständigen“, mein und Dein Wille zum Sich-Verständigen lebendig bleibt, weil wir in die Beziehungen vertrauen.

Vertrauen entsteht über verschiedene Beziehungen, die miteinander kompatibel ein stimmiges Geflecht bilden. Wir machen dies täglich. Meine Begegnung mit Nahrung beginnt mit optischen, riechenden und geschmacklichen Prüfbeziehungen. Ich empfinde gleichzeitig verschiedene Eigenschaften und setze diese zu mir in Beziehung. Das was ich mag, magst Du vielleicht nicht. Dennoch kann mein Ausdruck der Begeisterung, Dir Vertrauen geben, etwas von meinem Essen zu probieren, weil mein Benehmen für Dich stimmig ist.

Stabilität in lebendigen Beziehungen funktioniert auch besser wenn vieles gleichzeitig miteinander verbunden ist. Das lässt sich in lebendigen Ökosystemen beobachten. Mit der Zeit wächst die Artenvielfalt, obwohl der Lebensraum sich räumlich nicht vergrößert. Das Beziehungsgeflecht wird immer variantenreicher und stabilisiert dynamisch den gemeinsamen Lebensraum. Mit dynamisch meine ich die Anpassungsfähigkeit auf Veränderungen.

Jedes kleine und große Lebewesen wirkt in diesem Beziehungsgeflecht. Dabei hilft, dass es körperlich etwas tut, Informationen verarbeiten kann und immer wieder „weiß“, was einerseits die Aufgabe in dieser Umgebung zu dieser Zeit ist und anderseits hilfreich ist, auf Veränderungen zu reagieren. Mikroorganismen, Pflanzen, Tiere und noch mehr verständigen sich zu gemeinsamen Umgebungen.

Ich mache diesen Bogen durch die Natur, unserer Herkunftsumgebung, um zu zeigen, dass es so etwas wie universelle natürliche Fähigkeiten gibt, um über unsere Beziehungen unseren Lebensraum zu gestalten. Lebensräume sind auch Begegnungs- und Verständigungsräume und wir gestalten diese ständig mit. Wie wir das tun, hat viel damit zu tun, welche Energien wir hinein geben.  

Die Triebkräfte für diesen Beitrag, den ich gerade schreibe, begannen mit einer Vision, die mich im Traum vor fast 6 Jahren besuchte. Es sind mehrere Energien, die mich auf vielfältige Art antreiben, den Traum zu mehr Existenz zu verhelfen, ihn selbst zu erfahren und mit ihm bewusster zu werden.

Wenn ich mal wieder von weiter weg schaue und die Evolution betrachte, sehe ich eine Art verbundenes Streben zu mehr Komplexität. Komplex bedeutet, dass immer mehr gleichzeitig da ist und gegenseitig wechselwirkt. Vielfältiges tauscht sich vielfältig aus und wird schöpferisch, auch durch Nicht-Verständigung. Im Sich-Verständigen von Wechselwirkungen, Fähigkeiten und Energien entstehen die Umgebung, und das, was in der Umgebung lebendig ist. Der gemeinsame Austausch ermöglicht die solidarische Koexistenz und kollektive Evolution mit dem Lebensraum.

Universelle Interaktionsmuster

Das ist sichtbar in der Entwicklung unserer Materie, in natürlichen Ökosystemen und in unserer kurzen Geschichte der Menschheit. Komplexes Verstehen und Lernen ist auch eine wichtige Voraussetzung für Bewusstsein und Emergenz. Emergenz ist quasi die schöpferische Fähigkeit von dem Bewusst-Gewordenen. Wenn ich mich bewusst dem Sich-Verständigen-Lernen widme, ist ein bisschen so, als ob ich bewusste Emergenz lerne.   

Ich male dieses große universelle Bild, um zu zeigen, dass unser menschlicher Austausch auf natürlichen Grundlagen beruht. Wir haben angeborene und mitwachsende Ressourcen für komplexes Sich-Verständigen. Mit diesen können wir Wechselwirkungen verstehen, Fähigkeiten entwickeln und Energien bewusst dafür anwenden. Das ist ähnlich wie Rad fahren. Dieses Lernen wird einfacher, wenn ich die wesentlichen Bestandteile einzeln verstehe, übe und sie anschließend kombiniere (Dreirad + Laufrad >> Rad fahren).

Wenn wir das Radfahren lernen, tun wir das nicht im dichten Straßenverkehr. Wir kennen den Schmerz eines Sturzes und wissen, dass trösten und ermutigen hilft, weiter zu üben. Nicht anders ist es im Sich-Verständigen-Lernen. Wir stürzen alle auf verschiedenste Weise und kennen die Schmerzen. Trösten und ermutigen wäre auch für Sich-Verständigen-Lernen sehr förderlich.

Umso mehr Menschen, sich ihren Verständigungsräumen bewusst widmen, umso förderlicher wird die Umgebung für alle. Auch wenn es manchmal schwierig scheint, wir können in Gemeinschaft leben von jung bis alt und von weiblich, männlich bis divers. Diese Vielfalt ist, wie in einem Ökosystem, wichtig für die dynamische Stabilität der Gemeinschaft.

Unsere Begegnung- und Verständigungsräume sind dynamische Beziehungsgeflechte. Für mich sind Liebe, Macht und Freiheit die wichtigsten Beziehungsebenen. Wir können bewusst lernen, Liebe, Macht & Freiheit z.B. in Form von gegenseitiger Akzeptanz, Begegnung auf Augenhöhe und beiderseitiger Offenheit zu leben. Mit dem was wir leben, schaffen wir Umgebungen, denen wir vertrauen, die Mut machen, und uns inspirieren.

Der Anfang ist mein eigener Verständigungsraum. Ich erlebe Liebe, Macht und Freiheit auf meine ganz persönliche Art. Gleichzeitig erkenne ich Interaktionsmuster mit Konsequenzen, welche ich auch bei anderen Menschen erlebe. Ich möchte diese beschreiben, um gemeinsame Vorstellungen zu ermöglichen. Die Fähigkeit gemeinsam Vorstellungen zu entwickeln und diese umzusetzen ist unsere wichtige Fähigkeit, eine Gesellschafft zu entwickeln.  

Freiheit

Zur Einstimmung kannst Du gerne dieses Lied von Georg Danzer hören.

Ich war 17 Jahre alt, als ich mich entscheiden sollte, zu studieren und damit für 3 Jahre in den Armeedienst zu müssen. Ich hätte am liebsten den Armeedienst verweigert, aber das war in der DDR mit langer Gefängnisstrafe verbunden. Ein paar Monate später stürzte die DDR in sich zusammen. Über Wochen  war alles unvollständig, aus Uniformität wuchs Einzigartigkeit, Vielfalt breitete sich aus und suchte neue Wege. Ich konnte die Freiheit überall spüren. Mit dem Fall der Mauer, fiel das Pendel für die zukünftige Lebensumgebung der DDR in eine bekannte Richtung und das Gefühl der Freiheit verschwand…

Ich erzähle diese Geschichte, weil ich Freiheit durch offene Potenziale erfahre. Ich habe später dieses Gefühl der Freiheit erneut in einer Gruppenübung erlebt. Mir wurde durch mehrere Menschen ein geschützter Kreis geboten. In diesem begrenzten Raum fühlte ich den weiten Raum aller Wege. Die wesentliche Eigenschaft eines offenen Potenzials ist seine Unvollständigkeit. Gleichzeitig bin ich nur einer unter vielen bin einzigartig, wie alle anderen.

Dieser Beitrag ist noch nicht fertig geschrieben, aber als Podcast hörbar. Ab Minute 29:45 geht es mit Freiheit, Liebe und Macht weiter.